Donnerstag, 24. Januar 2013

Kompetenzzentrum Internationale Adoption

Auf dem Blog "Betyie" findet sich ein begrüßenswerter offener Brief an Frau Rupprecht, der Vorsitzenden der Kinderkommission im Deutschen Bundestag, der sich für ein Kompetenzzentrum Internationale Adoption einsetzt. Dieses Kompetzenzentrum wäre eine leicht umzusetzende Kombination aus einer "Dokumentations- und Beratungsstelle für die Vermittlung von medizinischen, psychologischen und sonderpädagogischen Beratungsangeboten speziell für international adoptierte Kinder und kooperierenden Forschungsstellen, z. B. für den (Zweit)spracherwerb für Kinder aus internationaler Adoption. Diese könnte an jedem sonderpädagogischen, pädagogischen oder psychologischen Institut angegliedert sein und sollte sich besonders um die Umsetzung von Forschungsergebnissen in didaktische Materialien und Empfehlungen für die Sprachförderung in und außerhalb eines differenzierenden Regelunterrichts bemühen."

Als Beispiel wird in dem Brief genannt:
    "Es wäre hilfreich, wenn allen Eltern international adoptierter Kinder eine zentral verwaltete, kommentierte Datenbank zur wohnortnahen (tropen)medizinischen Versorgung zur Verfügung stünde, die solche Ärzte auflistet, die nicht nur im Bereich der medizinischen Versorgung von Kindern aus der so genannten “Dritten Welt” Erfahrungen mitbringen, sondern auch in der Lage sind, mit den Kindern in einer ihnen entsprechenden Form diagnostisch gut umzugehen."
Und:
"Gleiches gilt bei der Diagnostik und Therapieangebote für Kinder mit psychischen oder so genannten “Verhaltensauffälligkeiten”. Auch hier sind mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Angebote je notwendiger, desto älter die Kinder zum Zeitpunkt ihrer Adoption waren. Und auch hier bestehen erfahrungsgemäß relativ eng umrissene Kriterien, nach denen es sich leicht ermitteln lässt, ob eine Praxis geeignet ist. Dazu würde gehören, ob die Ausbildung der Mitarbeiter darauf ausgerichtet ist, zwischen Traumatisierung und Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen zu unterscheiden, dass die Diagnostik und Therapie vorwiegend nicht-sprachlich verfährt und dass ein gewisser Erfahrungshintergrund in der Arbeit mit international adoptierten Kindern vorliegt."
Diese Initiative kann man nur vorbehaltslos unterstützen. Ärzte, Jugendämter und Schulen gehen in der Regel fraglos davon aus, dass die Vermittlungsstellen diese Nachsorgearbeit willig und kompetent übernehmen. Das ist nicht der Fall. Den Vermittlungsstellen fehlt in der Regel das Geld und Personal, um eine solche Beratung und Dokumentation zu übernehmen. Bestenfalls gibt es aktive Adoptiveltern, die über persönliche oder Vereinsnetzwerke ihr eigenes Wissen weitergeben. Ein Kompetenzzentrum Internationale Adoption wäre ein wichtiger Baustein zur Unterstützung adoptierter Kinder und ihrer Eltern.

Mittwoch, 23. Januar 2013

Aus erster Hand: offener Leserbrief an die ZEIT


Professor Dr. Carola Frege
London School of Economics and
Political Science

Die ZEIT Dossier Redaktion
Herr Greiner und Herr Mangold

Hamburg

18/1/2013

Betr.: Die Zeit, 17.1.2013, Dossier, “Zensierte Kinderbücher”

Sehr geehrter Herr Greiner, Herr Mangold und die Dossier Redaktion,

Ich möchte mein zutiefstes Unbehagen über Ihren Dossier vom 17.01.2013, “Zensierte Kinderbücher”,zum Ausdruck bringen. Das wichtige Thema, Rassismus in der deutschsprachigen (Kinder)Literatur, wurde in Deutschland bislang völlig ignoriert. Ich bin froh, dass nun - dank der bekannten Aussage von Familienministerin Schröder – endlich eine Diskussion entsteht. Ich bin ermutigt von der längst überfälligen Entscheidung des Thienemann Verlages, seine klassischen Kinderbücher zu editieren und hoffe, dass viele andere Verlage folgen werden. Dies ist längst überfällig – in Amerika beispielsweise wurde dieses Thema bereits vor 50 Jahren abgehandelt.

Leider hilft uns das ZEIT Dossier hier nicht weiter: es ist weder ausgewogen noch informativ und spiegelt lediglich die vorherrschende Meinung in den deutschen Medien wieder. Ihr Dossier beginnt mit einem rassistischen Aufmacher auf der Titelseite (sollte das witzig sein? Und warum muss das N-Wort auf der ersten Seite einer renommierten deutschen Zeitung benutzt werden?) und dann melden sich vier Männer zu Wort, von denen sich drei (weiße) Männer gegen die Editierung alter Kinderbücher aussprechen und einzig Herr Mangold - als schwarzer Deutscher - eine gegensätzliche Meinung artikuliert, aber dies leider etwas zu halbherzig und zaghaft. Den drei Artikeln ist gemeinsam, dass sie nirgendwo die eigentlichen Opfer, nämlich die schwarze deutsche Kinder (ja, die gibt es!) betrachten. Die kommen überhaupt nicht vor! Es geht hier nicht nur um den Einfluss dieser Bücher auf deutsche (weiße) Kinder und Ihrem Weltbild, sondern auch und gerade auf Kinder von Minderheiten, in diesem Fall schwarze deutsche Kinder. Warum wird dies völlig ignoriert? Warum wurde nicht ein Interview mit schwarzen Kindern, deren Eltern, oder beispielsweise Mitglieder der ‘Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland’, Experten in Sachen deutscher Rassismus, geführt? Stattdessen entscheiden drei weiße Männer mittleren Alters, wie sich z.B. schwarze 6-jährige Kinder fühlen sollen, wenn in der Schule ‘Jim Knopf’ vorgelesen wird, oder ‘Pippi Langstrumpf’ oder ‘Die Kinder aus der Krachmacherstrasse’ (auch Astrid Lindgren, auch mit rassistischem Inhalt) -- oder wenn sie im Kinderhort “Wer hat Angst vorm schwarzen Mann” mitspielen müssen. Und mit welchem Recht maßen sich diese Autoren an zu behaupten, dass das alles nicht so schlimm sei (Hacke:“Der Aufstand ist lächerlich”), und dass das Belassen des Originaltextes wichtiger sei (Greiner: Kulturgut!) als das (immerhin im Grundgesetz verankerte) Recht, nicht diskriminiert zu werden. Darf das für schwarze Deutsche nicht gelten?

Im Einzelnen:

1) Artikel von Herrn Greiner “Die kleine Hexenjagd”

(i) Herr Greiner setzt sich für die ursprüngliche, wenn auch rassistische Sprache ein und widersetzt sich dem ‘Diktat der politischen Korrektheit’ — ohne allerdings dem Leser zu erklären, was an diesen ‘Tugendwächtern’ eigentlich so schlimm ist. Anscheinend genügt es im deutschen Feuilleton das gehasste Wort ‘politische Korrektheit’ nur zu erwähnen. Was hat es aber mit politischer Korrektheit zu tun, wenn man dafür eintritt, dass schwarze Kinder in Deutschland das Recht haben, nicht herabwürdigend und degradierend abgebildet zu werden (ob nun in klassischen oder zeitgenössischen Kinderbüchern– ja, auch dort finden sich rassistische Wörter - oder auf der Bühne, wie z.B. in der derzeitigen Kinderaufführung der Zauberflöte an der Deutschen Oper Berlin – es gibt leider viele Beispiele). Und warum ist politische Korrektheit in Deutschland nur o.k., wenn es um unsere jüdischen Mitbürgern geht, nicht aber um andere Minderheiten? Gerade wir Deutsche sollten doch eine Vorreiterrolle im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung aller Couleur spielen. Genau das Gegenteil ist meist der Fall. Wir sind in dieser Beziehung ein Entwicklungsland. Und um welche ‘Zensur’ geht es hier eigentlich? Es geht doch nicht darum die Bücher zu verbieten, sondern lediglich veraltete, rassistische Wörter und Inhalte zu editieren! Nicht nur unsere Sprache wandelt sich mit der Zeit und unsere Moralvorstellungen, wie Herr Greiner zu Recht bestätigt, aber auch die gesellschaftliche Verantwortung unseren Kindern gegenüber. Ich verstehe diese ganze Aufregung nicht. Kinderbücher wurden doch schon immer besonderen Kriterien unterstellt. Sie sind eben keine Erwachsenenbücher und viele Themen wie z.B. Vergewaltigung haben in Kinderbüchern nichts zu suchen (obwohl Vergewaltigungen ja in früheren Zeiten oder anderen Kulturen akzeptiert waren). Warum sollte Rassismus zugelassen werden? Zudem, jede Generation nimmt sich doch das Recht, ihr Kulturgut neu zu interpretieren!! Das sehe ich allabendlich im Theater, wenn klassische Theaterstücke neu inszeniert werden und die Kinderbibel, die ich neulich kaufte, weist auch eine modern, kindergerechte Sprache auf. Das Problem ist doch, dass Herr Greiner die Diskussion ausschließlich von dem Standpunkt weißer deutscher Eltern und Kinder betrachtet. Obwohl Herr Mesghena erwähnt wird, wird ihm entgegen gehalten, dass deutsche (weiße?) Eltern ein Recht darauf haben, wegen Ihrer Erinnerungen (die man ihnen nicht nehmen darf!), ihre alten Kinderbücher (in der alten Fassung!) vorzulesen. Aber worum geht es denn hier genau? Geht es um deren nostalgische Erinnerungen an das N-Wort? Und wer bitte hat das “Gesetz (?) des sprachlichen Altwerdens” erfunden? Das hört sich stark nach radikalem Konservatismus und Zensur an, und erinnert mich an amerikanische Evangelisten oder extreme Muslime, die jede modernisierte Interpretation Ihrer religiösen Texte ablehnen. Und wenn wir schon von Gesetzen reden, darf ich noch einmal an unser Grundgesetz erinnern? (ii) Herr Greiner argumentiert, dass manche Übersetzungen des N-Wortes lächerlich würden, aber das kann doch bitte kein Argument sein? Ich möchte behaupten, dass jeder kluge Verleger in der Lage ist, damit geschickt umzugehen. (iii) Herr Greiner argumentiert, dass dieses sogenannte ‘Problem’ nur in den Köpfen der Erwachsenen stecken und für Kinder kein Problem darstellt – dies wird mit einer Befragung zweier Hamburger Schulklassen unterstrichen. Leider wird uns vorenthalten, wie alt diese Kinder sind und wieviele Kinder schwarz waren. Ich bezweifle, dass sie solch aufgeklärte Antworten z.B. von Vorschulkindern oder Erstklässlern hören. Zudem, die Kinder sagen doch ausdrücklich, dass sie nicht wollen, dass solche Wörter in Geschichten vorkommen – warum nehmen sie das nicht ernst? (iv) Schließlich verneint Herr Greiner, dass Worte Schaden anrichten können (Frau Schröders Zitat). Wirklich? Als Journalist ist er sich sicher der Wichtigkeit von Sprache bewusst? Natürlich können Worte Schaden anrichten. Sie können beleidigen, degradieren, entwürdigen. Vielleicht hat er das nie persönlich als weißer, heterosexueller, deutscher Mann erfahren? Frauen, Menschen mit Behinderung, oder ethnische Minderheiten können ihm da anderes erzählen. Und würde Herr Greiner es auch befürworten, wenn in einem Kinderbuch von einer ‘Judensau’geredet würde? Oder vielleicht einfacher: wenn Ihr Sohn homosexuell wäre und in der Schule anti-homosexuelle Bücher und Bilder im Umlauf wären, dann fänden Sie immer noch nicht, dass Worte verletzen können?

2) Interview mit Herrn Kasten

Ein‘Experte’ wird geladen, Herr Harmut Kasten, der aber leider – soweit aus seinem CV ersichtlich -, keine Veröffentlichung zu dem Thema Rassismus und Kinderpsychologie aufweisen kann. Herr Kasten argumentiert, dass rassistische Kinderbücher Kinder nicht zu Rassisten machen (“Von Kinderbüchern allein wird sowieso kein Menschenbild geprägt.”) Aber wo steckt seine Beweisgrundlage? Sicherlich, werden Kinder nicht nur von Kinderbüchern geprägt, das ist wohl selbstverständlich. Aber, sie werden auch durch sie geprägt! Bücher beeinflussen Kinder – warum würden wir sie Ihnen sonst vorsetzen?? Jeder würde wohl zustimmen, dass sie ein wichtiger Teil von Erziehung sind (und auch für das Vermitteln von Moralvorstellungen). Und Bücher deren Sprache, Bilder und Inhalt, bestimmte Menschen— Schwarze (oder Frauen, Juden, Muslime, Menschen mit Behinderung oder anderer sexueller Orientierung…) — entwürdigend darstellen, beeinflussen die Kinder der gesellschaftlichen Mehrheit negativ. Sie lernen nicht nur Schimpfwörter, sondern insbesondere die stereotypische Darstellung dieser Menschen kennen (z.B. bei Jim Knopf ist der Schwarze natürlich arm und ein Waise). Und viel wichtiger: diese rassistischen Texte (und Bilder) beleidigen die Kinder, die diesen Minderheiten angehören, und beeinflussen ihr Selbstwertgefühl negativ. Im Gegensatz zu Herrn Kastens Meinung ist seit langem in der amerikanischen Literatur bekannt, dass Rassismus auch durch Text und Bild entsteht und Kinder negativ beeinflussen können. Es gibt seit den 60er Jahren Studien, die sich mit sexistischen und rassistischen Stereotypen in den Medien/ Büchern befassen, und deren Einfluss auf die Entwicklung von Kindern bestätigen (z.B. Paterson, S., Lach, MA. (1990) “Gender Stereotypes in children’s books: their prevalence and influence on cognitive and affective development”, Gender & Education, vol 2:2). Ich zitiere (ibid.: p. 1): “It seemed obvious that repeated exposure to these kinds of images was likely to have detrimental effects on the development of children’s self-esteem, particularly that of girls, and on the perceptions children have of their own, and of others’ abilities and possibilities”. Der (amerikanische) ‘Council for Interracial Books for Children’ (1976:1) zeigt zudem ähnliche Wirkungen bei rassistischer Kinderliteratur auf: “Racial stereotypes reflected in children books play an active part in maintaining that existing social structures by molding future adults who will accept it”.

Ich höre immer wieder, dass man solche rassistische Textstellen und Bilder zum Anlass nehmen kann über Rassismus zu sprechen – eine Lerngelegenheit (siehe Herr Kastens Argument). Aber, bitte welche (weiße) Eltern tun denn dies? Und warum, muss ich, als Mutter eines schwarzen Kindes, von einem Kinderbuch aufgefordert werden, über die deutsche Kolonialzeit und über Rassismus im Allgemeinen und besonderen zu reden?? Mir so etwas als Lernchance vorzuschlagen ist, ehrlich gesagt, eine Unverschämtheit. Und würden Sie auch eine jüdische Mutter auffordern, Ihren kleinen Kindern den Holocaust zu erklären, nur weil Juden in einem Kinderbuch diskriminierend dargestellt werden?

3) Artikel von Herrn Hacke: “Wumbabas Vermächtnis”

Herrn Hackes Artikel scheint nicht viel mit dem eigentlichen Thema zu tun zu haben, sondern ist ein emotionaler Verriss der Kritiker seiner Bücher und spiegelt leider seine zutiefst ignorante und arrogante Sichtweise wieder. Herr Hacke hält den Kampf gegen Rassismus für wichtig, aber man nimmt es ihm nicht ab. Im Gegenteil. Er bespottet seine Kritiker und macht sich lustig. Die Kritik an seinen Büchern (oder an anderen Büchern mit rassistischen Titeln) sei eine reine ‘Zeitverschwendung’. Schade, anscheinend hat Herr Hacke als Schriftsteller nicht begriffen, dass es sich bei Rassismus nicht nur um Gewalt einer Zwickauer Zelle handelt, sondern auch um entwürdigende Sprache, Inhalt und Bilder handeln kann. Da gibt es durchaus in der deutschen Geschichte genügend Ansichtsmaterial. Wie kann er behaupten, dass die Abbildung von Wumbaba eine Karikatur sei und deshalb nicht rassistisch? Können nur Bilder aber keine Karikaturen rassistisch sein? Können nur Texte aber keine Witze rassistisch sein? Sind Judenwitze nicht antisemitisch?

Zu guter Letzt: Um was es wirklich gehen sollte, ist die Frage, ob wir es uns als moderne Kulturnation und Einwanderungsland im 21. Jahrhundert weiterhin erlauben können, die alltägliche Diskriminierung von Minderheiten in unseren Medien und Öffentlichkeit als Lappalie herab zutun und zu ignorieren. Wir sollten endlich begreifen, das Rassismus nicht nur rechtsextreme Gewalt und Antisemitismus bedeutet, sondern ganz alltäglich in der Mitte unserer Gesellschaft, unserer Medien und im öffentlichen Diskurs angesiedelt ist. Dass es Deutschland schwerer fällt - als beispielsweise Amerika oder Großbritannien - hochgebildete ausländische Fachkräfte anzuwerben, hat auch damit etwas zu tun. Das ZEIT Dossier zeigt, wieweit Deutschland leider noch entfernt ist, ein wirklich tolerantes und offenes Land für Migranten und Minderheiten zu sein.

Schade.

Hochachtungsvoll,

Carola Frege

Montag, 21. Januar 2013

Rassismus in deutschen Kinderbüchern

Seit einer Woche tobt im deutschen Feuilleton eine Debatte zwischen dem Recht auf rassistischer Sprachausübung auf der einen Seite und dem Recht der Kinder ohne altbackenem Sprachgebrauch aufzuwachsen auf der anderen.

Nachdem Familienministerin Schröder öffentlich dafür plädierte, Kindern keine rassistisch besetzten Begriffe in Kinderbüchern vorzulesen und Kinderbuchverlage ankündigten, Klassiker der Kinderbuchliteratur auf rassistische Begriffe zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten, wurde von Literaturkritikern und Journalisten nicht nur der Untergang des Abendlands sondern auch die Vorherrschaft des political correctness und das Einläuten des Orwellschen 1984 ausgerufen.

Erschreckende Kommentare und Positionen werden seitdem in der deutschen Qualitätspresse verbreitet: Die ZEIT titelte sogar mit dem Thema; auf Spiegelonline durfte Jan Fleischhauer die deutschen Kinderbücher auf dem Weg zur Trottelsprache sehen. Harald Martenstein durfte bei dem Konzert nicht fehlen: auch er polterte er im Tagesspiegel gegen die vermeintliche Zensur. In den dazugehörigen Kommentaren wurde auf dem Recht auf die Nutzung von "Neger" als neutraler Bezeichnung beharrt. Nach einer Umfrage der Bildzeitung ist eine knappe Mehrheit der Deutschen für die Entfernung rassistischer Begriffe aus Kinderbüchern; allerdings sind insbesondere Hochgebildete dafür die Bücher so zu belassen, wie sie sind. Je höher gebildet, desto eher hängt man am "Negerkönig" in Pippi Langstrumpf. Man müsse den Kindern halt beim Vorlesen den historischen Kontext erklären!

Den Feuilletonisten (und den Hochgebildeten) geht es weder um ihre noch um andere Kinder sondern um die Bewahrung einer vermeintlich heilen Kindheit, die sie mit den Originalausgaben der Klassiker verbinden. Dass die Objekte der mit rassistischen Begriffen belegten Geschichten mittlerweile längst unter uns sitzen, wird ihnen dabei noch nicht einmal bewusst. Wie es schwarzen Kindern beim Singen von den 10 kleinen Negerlein oder den wilden Negern auf den Südseeinseln bei Pippi Langstrumpf ergeht, ist ihnen auch eher egal. Hauptsache sie dürfen sagen, was sie schon immer im Sprachgebrauch hatten. Sie, die Herrscher über die Kommentarspalten und Kulturseiten, bestimmen die Gepflogenheiten der deutschen Sprache; nicht diejenigen, die nicht über Sprache diskriminiert, ausgegrenzt, belächelt oder angefeindet werden wollen.

Aber mit der Gesellschaft wandelt sich auch die Sprache. Deutsche Kindergärten sind nicht mehr ausschließlich von blonden und weißen Kindern bevölkert. Weder wird das Feuilleton die Ausbreitung der Kanak-Sprak verhindern noch werden die Kritiker die Modernisierung der Kinderbücher langfristig aufhalten. Die Verlage wollen die Auflagen der Kinderbuchklassiker überarbeiten, weil ansonsten Kindergärten und Grundschulen diese Bücher nicht mehr kaufen werden. Warum sollten sich Erzieherinnen mit einer undankbaren und unsinnigen Diskussion aufhalten, wenn sie den Kindern erklären, warum in einem bestimmten Buch ein längst überholter und im Sprachalltag nicht zu benutzender weil rassistischer Begriff auftaucht? Als Einführungsseminar in die Germanistik mit Migrantenkindern vielleicht?

Das Negerlein in der kleinen Hexe ist einfach kein guter Sprachgebrauch und noch dazu braucht ihn das Buch nicht. Noch weniger brauchen wir allerdings bornierte und selbstverliebte Literaturkritiker.


 

Sonntag, 13. Januar 2013

Russische Duma plant alle Auslandsadoptionen zu verbieten

Nach einem Bericht des englischsprachigen russischen Senders Russia Today bereitet die Duma derzeit ein Gesetz vor, das Auslandsadoptionen nur für Familien aus Ländern erlaubt, die ein bilaterales Abkommen mit der russischen Regierung abgeschlossen haben. Alle anderen Adoptionen werden gestoppt. Derzeit hat Russland Abkommen mit Frankreich, Italien und noch bis zum Ende des Jahres mit den USA.

Dafür wird das russische Familiengesetz entsprechend geändert. Das Änderungsgesetz soll nach Angaben des Abgeordneten Evgen Fodorov in drei Wochen im Parlament eingereicht werden. Er sagte der Nachrichtenagentur Itar-Tass:

“In fact, [adoptions of Russian orphans by foreign families] is a purchase. None of the civilized countries are involved in slave trade, or sell their children abroad.”
Fyodorov verwies darauf, dass Auslandsadoptionen in den meisten europäischen Ländern verboten seien. Es sei sogar eine Voraussetzung der Mitgliedschaft in der EU. Der Kinderrechtsbeauftragte  Pavel Astakhov unterstützt die Intiative. Er sagte, es sei eine Schande für ein Land, wenn seine Kinder ins Ausland geschickt werden. Alle Kinder sollten in ihrem Heimatland bleiben.

Dienstag, 8. Januar 2013

Aus erster Hand: Schulprobleme älterer Adoptivkinder

Aus erster Hand sind Berichte von Adoptiveltern, die uns erreichen und die wir hier in anonymisierter Form weitergeben:
Unsere Tochter war fünf, als wir sie aus Äthiopien abholten. Sie war vom ersten Tag offen, aufgeschlossen und positiv gegenüber allen Veränderungen, die sie erleben würde. Wir hatten und haben keine Bindungsprobleme oder Anzeichen einer größeren Traumatisierung. Sie ist ein freundliches und sehr vernünftiges Kind und für ihr Alter sehr klug und reif. Das macht es ihr in der Schule leichter, weil ihre Lehrer sie in der Klasse sehr schätzen. Ihren Schulleistungen hilft es jedoch nur bedingt. Während sie die Sprache innerhalb weniger Monate akzentfrei lernte und einen großen Wortschatz hat, fällt ihr sowohl Deutsch als auch Mathe schwer.
Nach dreieinhalb Schuljahren ist sie in beiden Fächern eher auf dem Level einer Zweitklässlerin. Sie liest und schreibt langsam mit vielen Fehlern und rechnet unsicher. Unsere - öffentliche - Schule hat uns bis jetzt sehr unterstützt und gibt ihr Zusatzunterricht in beiden Fächern meistens während des Religionsunterrichts oder nach der Schule. Ihre Klassenlehrerin hat uns versprochen, dass sie von ihr in jedem Fall weiter versetzt werden wird. Für sie wäre es eine Katastrophe ein Jahr zu wiederholen, da sie deutlich früher als ihre Klassenkameradinnen in die Pubertät gekommen ist und auch die Größte in ihrer Klasse ist. Mit jüngeren Kindern käme sie überhaupt nicht zurecht.
Allerdings ist es unklar, wie es langfristig weitergehen soll. Ihre Förderlehrerin in Mathematik empfahl sie auf Dyskalkulie testen zu lassen. Wir werden dies auf jeden Fall tun, weil eine solche Diagnose bedeutet, dass ihre Noten nicht für die Versetzung relevant sind und sie auch andere Klassenarbeiten schreiben wird als der Rest der Klasse.
Wir persönlich glauben jedoch nicht an eine Rechenschwäche, weil man auch gleich eine Schreib- und Leseschwäche mit diagnostizieren könnte. Wir halten es für wahrscheinlicher, dass sie aufgrund der Adoption und der kulturellen Umstellung einfach langsamer lernt. Ein Kind kann nicht innerhalb weniger Jahre eine komplett neue Familiensituation und eine neue Sprache verarbeiten, ohne dass das Auswirkungen auf die Lernkapazität hat. Sie bräuchte einfach einen langsameren Unterricht, der jedoch in ihrer Alterskohorte stattfinden müsste. Den gibt es jedoch weder an öffentlichen noch an privaten Schulen. Wir hofffen derzeit, dass unsere Schule weiterhin so tolerant und positiv mit uns umgeht und sie weiter versetzen wird. Ob sie jemals die Differenz zur restlichen Klasse aufholen wird, wissen wir nicht. Für sie ist es jedoch in jedem Fall das Beste, wenn sie in ihrer Klasse bleibt. 
 
Wir veröffentlichen gerne weitere Beispiele aus erster Hand, die dem Erfahrungsaustausch  von Adoptivfamilien dienen.