Donnerstag, 30. Mai 2013

Aus erster Hand: Barmherzigkeit - eine Herzensangelegenheit

Nachdem ich den Film Mercy Mercy gesehen habe und mich auf die Suche nach meiner inneren Haltung begeben habe, stelle ich fest, dass ich nicht das Adoptionsthema schwierig finde (das kann in der Tat hier wie dort klappen oder schief gehen), sondern irritiert über die Haltung der Filmemacherin bin, die der Verwertung des Materials Vorrang gibt, das Reality TV interessierte Publikum bedient, und für mich am wesentlichsten: die realen Personen leiden lässt und dabei beobachtet. Die im Film gezeigten, betroffenen Menschen - insbesondere die beiden Kinder - leben ja tatsächlich in ihrem Leben weiter.

Wenn unterstellt wird, dass der Film andere schützen soll, vor was und wie? Davor, dass Menschen nicht auf ihr Herz hören? Dann ist der Film gut. Denn das wird dokumentiert.

Was wird im Film gezeigt? Eine äthiopische Mutter, die vermutet, dass sie auf Grund einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht mehr lange lebt, gibt zwei ihrer Kinder zur Adoption frei. Sie lebt dank guter medikamentöser Behandlung länger als befürchtet und erwartet und bereut ihren Schritt. Zusätzlich war für sie nicht transparent, was Adoption bedeutet, da es in Äthiopien kein Wort dafür gibt. Eine Adoptionsagentur vermittelt die Geschwisterkinder nach Dänemark. Die Adoptiveltern fühlen sich überfordert von der (über die Entwurzelung) unglücklichen und abweisenden fünfjährigen Tochter. Sie werden von Therapeuten schlecht beraten, hören auf die schlechten Ratschläge, obwohl die Adoptivmutter fühlt, dass sie gegen ihre Natur handelt. Das Mädchen bleibt unverstanden und extrem unglücklich- über den Bruder erfahren wir nicht viel- was droht ihm, wenn auch er sein Unglück zeigt, oder ist er gar nicht traurig? Die leiblichen Eltern in Äthiopien fühlen sich belogen und sind zutiefst verletzt. Der Prozess geht über fünf Jahre in denen zwei Familien zu Opfern werden, obwohl die ganze Zeit interveniert werden kann, die Kamera aber "nur" dokumentiert. Wir sehen Bilder des weinenden Mädchens und der versteinerten Mutter, die ich zumindest kaum ertragen kann. Der Reflex von unbeteiligten und uninformierten Zuschauern MUSS sein: Adoption ist des Teufels. Hartherzige Adoptiveltern, unfähige Therapeuten, skrupellose Adoptionsvermittler und belogene, trauernde leibliche Eltern, weinende Kinder, die am Ende immer noch unglücklich sind und im Kinderheim landen.

Im Interview mit der Regisseurin erfahren wir, dass die leibliche Mutter ihre Tochter nicht zurück haben möchte, die Adoptiveltern das Mädchen nicht in ihre Ursprungsheimat ziehen lassen wollen. Und mit diesem Film muß die Tochter nun leben.

Die Regisseurin ist in mehrere Loyalitätskonflikte geraten. Mache ich meinen Film weiter und zeige welch dramatische Entwicklung die Adoption nimmt oder interveniere ich? Schütze ich die Adoptiveltern und ihre Rechte oder die leiblichen Eltern? Engagiere ich mich und spreche mit der Adoptionsagentur oder misstraue ich denen sowieso? Hat sie genügend Kenntnis oder ist das ein Reflex?

Die Belohnung für ihre Arbeit am Film ist die Nominierung für einen Dokumentarfilmpreis und die Aufmerksamkeit der Medien.

Was mich so traurig und ärgerlich macht, ist, dass wir Zuschauer Zeuge eines großen Unglücks werden, dass sich vor unseren Augen entrollt und aktuell ja immer noch fortwährt, während dessen wir schon wieder anderen Themen nachgehen. Das Leben des Mädchens und ihres Bruders geht aber weiter- ihnen bleibt ein Leben als mehrfach verlassene und unverstandene Kinder. Die Bilder bleiben und der Basso continuo dröhnt: Adoption ist Kinderhandel von der armen Welt in die reiche Welt, gelenkt von den Interessen hartherziger, kinderloser Langnasen, die arme, kranke Menschen in Drittweltländern ausbeuten.

Meine Lebenserfahrung und mein Wissen stehen dem entgegen.

Mittwoch, 29. Mai 2013

20 Jahre Haager Konvention - Eine Zwischenbilanz von Terre des Hommes

Zum 20. Jahrestag der Haager Konvention am 29. Mai 2013 hat Terre des Hommes eine Zwischenbilanz veröffentlicht und angemahnt, dass die Bestimmungen der Konvention auch eingehalten werden sollten. Leider wirft die Zwischenbilanz mehr Fragen auf als Antworten und Terre des Hommes ist scheinbar nicht in der Lage oder genügend interessiert daran, den Fragen tatsächlich auf den Grund zu gehen.

Schade eigentlich, denn die ständige Wiederholung alter Erkenntnisse von den Marktmechanismen, der überschießenden Nachfrage durch kinderlose Paare, den nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen freier Träger und des ungeklärten Bedarfs an internationalen Adoptionen lenkt von den interessanten und relevanten Fragen ab:
  • Reicht die Haager Konvention zur Regulierung Internationaler Adoptionen aus?
  • Wie kann der Bedarf analysiert werden?
  • Wie können Aufsichtsmechanismen funktionieren?  
  • Wird Kindern durch Internationale Adoptionen eigentlich geholfen?
In Anbetracht der langen Erfahrung von TdH mit internationalen Adoptionen könnte zumindest der letzte Punkt aufgeklärt werden: Wie geht es den durch Terre des Hommes vermittelten Kindern heute? Was ist ihre Position zur Internationalen Adoption? Was hat man aus der damaligen Vermittlungsarbeit gelernt? Wie hat man die Erfahrungen empirisch ausgewertet? Das wäre ein Feld, in dem Terre des Hommes einen wichtigen Beitrag leisten könnte.
 

Dienstag, 21. Mai 2013

Filmtipp

Im Rahmen der Wissenschaft am Donnerstag zeigt 3sat am Donnerstag, den 23. Mai 2013, um 21 Uhr, scobel mit dem Thema "Entwicklungszusammenarbeit auf dem Prüfstand".

Gert Scobel diskutiert mit seinen Gästen die großen Linien und Veränderungen der Entwicklungszusammenarbeit und blickt kritisch hinter die Kulissen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungspolitik, die sich angesichts von Globalisierung und Klimawandel von der Entwicklungshilfe der 1960er Jahre zu einer Art Weltinnenpolitik gewandelt hat.

Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.3sat.de/?169611

Mittwoch, 8. Mai 2013

Bindung und Psychosomatik

Bindung - für Adoptiv- und Pflegekinder sowie für deren Eltern ist das ein großes Thema. Wen wundert's? Die Lebensläufe der Kinder sind meist von Beziehungsabbrüchen bestimmt, und deren Folgen machen sich im seelischen wie im körperlichen Bereich bemerkbar. Hinter der Diagnose Bindungsstörung’ steht ein ganzes Bündel von Ursachen – glücklicherweise stehen aber auch Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. In München findet vom 11.-13.Oktober 2013 eine große, von der LMU initiierte international besetzte Tagung zum Thema Bindung und Psychosomatik statt, die den aktuellen Forschungs- und Kenntnisstand auf diesem Gebiet darstellt. Teilnahme ist nach Voranmeldung möglich.

Interview mit Kathryn Joyce

Aktuell zum Buch gibt es auch ein Interview mit Kathryn Joyce auf NPR.

How Evangelical Christians Are Preaching The New Gospel Of Adoption.

http://www.npr.org/2013/04/16/177350912/how-evangelical-christians-are-preaching-the-new-gospel-of-adoption 

Sonntag, 5. Mai 2013

Die Kinderfänger

Endlich ist das neue Buch von Kathryn Joyce erschienen, auf deren Arbeiten wir in diesem Blog schon mehrfach verwiesen haben. The Child Catchers - Rescue, Trafficking, and the New Gospel of Adoption ist ein gut geschriebenes und gut recherchiertes Buch, das den Leserinnen und Lesern die Augen öffnet und leider auch die Haare zu Berge stehen lässt.

Amerikanische Evangelisten haben das Feld der Adoption für sich entdeckt und organisieren eine ganze Ideologie/Theologie um das Konstrukt der 'Waisen' und der Verantwortung von Christen für diese Waisen. Aus dem Bibelvers: "Pure religion is this, to help widows and orphans in their need" leiten sie ein Handlungsprogramm ab, das immer wieder auf die gleiche Lösung hinausläuft. Adoption ist die Antwort auf viele Probleme: ungewollte Schwangerschaften, Armut, alleinerziehende Mütter, Abtreibungen. Kirchen predigen, praktizieren und bejubeln den neuen Trend, fremde Kinder in ihre Familien aufzunehmen. Da in diesen Kreisen der Zweck die Mittel immer noch heiligt, folgt aus der Adoptionsideologie ein sehr instrumenteller Umgang mit der Frage, wer eigentlich adoptionsbedürftig ist und was aus der Herkunftsfamilie wird. Egal was die Umstände sind, Hauptsache es werden Kinder gerettet.

Kathryn Joyce verfolgt die Spuren der christlichen Adoptionsmissionare insbesondere nach Äthiopien, das in den letzten zehn Jahren zum Zentrum der internationalen Adoption wurde. Dort arbeitet sie die Skandale und Misstände nochmals von Anfang an auf. Das Kapitel Inside the Boom enthält alles, was in den letzten Jahren über Korruption in Adoptionen aus Äthiopien in die USA berichtet wurde. Leider enthält es jedoch wenig, was nicht bereits vorher schon - zum Teil von Kathryn Joyce selbst - an anderer Stelle geschrieben wurde. Ihre Recherchen in Äthiopien konzentrieren sich auf die bekannten Skandale und nur am Rande auf die Stimmen der Herkunftsfamilien und Betroffenen. Sie begleitet einen Searcher auf einer Reise in ein abgelegenes Dorf, wo ein Film über eine Herkunftsfamilie gedreht wird. Dabei stellt sie fest, wie sich die Gelegenheit ein Kind nach Amerika schicken zu können herumspricht und damit erst das Verlassen von Kindern auslöst.

Sie spricht mit Vertretern von UNICEF, die diesen Mechanismus bestätigen: erst die Gründung eines Waisenhauses produziert Waisen. Die Schließung von Kinderheimen ist daher wahrscheinlich das wirksamste Instrument der äthiopischen Regierung, um die Adoptionsindustrie einzudämmen. Ob jedoch die anderen Maßnahmen der äthiopischen Regierung wirksam sind, weiß nicht einzuschätzen. Nach einem Rückgang der Zahlen geht UNICEF davon aus, dass sie wieder auf ein hohes Niveau gestiegen sind.

Die Botschaft wird in dem Kapitel sehr deutlich: Evangelisten auf dem Adoptionspfad schaffen mehr Probleme als sie lösen. Und in der Tat, wenn man Michelle Gardner in dem Film "Fly away children" dabei zusieht, wie sie in äthiopischen Dörfern die Eltern fragt, wer gerne sein Kind nach Amerika schicken möchte, dann wird klar, dass es hier in keiner Weise um "Waisen" in irgendeinem Sinne des Wortes geht. Die explodierende Adoptionsindustrie in Äthiopien hat demnach auch wenig mit christlichen Werten oder Familien zu tun sondern mit einem Versuch dem eigenen Leben mehr Sinn zu geben, wenn vermeintlich Leben gerettet werden können.

Für Adoptionsinteressierte ist dieses Buch eine wichtige Information und zwar auch für solche, die mit der christlichen Adoptionsbewegung nichts am Hut haben. Adoptionsmissionare haben in Äthiopien die Strukturen weitgehend korrumpiert. Daran kommen auch europäische Vermittlungsstellen nicht vorbei. Und zweitens ist jenseits aller Rhetorik die Haltung der Europäer nicht so anders. Bis heute sind Vermittlungsstellen für den Wahrheitsgehalt der Dokumente der vermittelten Kinder nicht verantwortlich. Auch deutsche Vermittlungsstellen weisen eine Verantwortung für das, was im Sozialbericht über die Kinder und deren Familien steht, weit von sich. Vielmehr werden angehende Adoptiveltern mit einem Augenzwinkern zu Komplizen gemacht, da man afrikanischen Dokumenten nicht zu viel Glauben schenken sollte. Erst wenn Vermittlungsstellen diese Verantwortung übernehmen und vielleicht auch rechtlich dazu gezwungen würden, wären sie an der Wahrheit wirklich interessiert. Davon sind wir aber noch weit entfernt.