Montag, 30. September 2013

Adoptionsland Absurdistan

Wer derzeit die Nachrichten aus dem Adoptionsland USA verfolgt, wird ein zunehmend mulmiges Gefühl nicht los. Das eigentlich positive Grundgefühl, das mit der großen Bereitschaft der Amerikaner zur Aufnahme eltern- und familienloser Kinder einher geht, wird zunehmend von einer Haltung überlagert, in der es kaum noch um Kinder aber sehr stark um die Rechte und die Macht von Adoptiveltern über die Kinder anderer Menschen geht. In den letzten Wochen gibt es gleich mehrere Beispiele dafür:

  • Der Fall von Baby Veronica hat eine weitere tragische Wende genommen. Veronica ist das Kind einer außerehelichen Beziehung. Ihre Mutter hat sie bereits vor der Geburt zur Adoption freigegeben, ohne jedoch den Vater zu informieren. Der hat seit ihrer Geburt für sein Sorgerecht gekämpft und zeitweise auch Recht bekommen. Nach der letzten Gerichtsentscheidung musste er jedoch seine Tochter den Adoptiveltern wieder übergeben. Deren Anwälte verklagen ihn nun auf Schadensersatz auf eine halbe Million Dollar. Diesen Betrag wird er zwar nicht bezahlen können, aber das eigentliche Ziel ist die Abschreckung: Versuche als Elternteil erst gar nicht ein bereits adoptiertes Kind zurückzuverlangen. In den USA ist trotz aller Familienrhetorik das Recht am eigenen Kind schwach ausgeprägt. Eltern verlieren ihr Sorgerecht vergleichsweise leicht. So werden bei illegalen Einwanderungen zwar die Eltern deportiert; nicht aber deren in den USA geborenen Kindern. Diese werden kurzerhand ohne das Einverständnis der Eltern zur Adoption freigegeben.
  • CHIFF (Abkürzung für Children in Families First) ist ein Gesetzentwurf, der zurzeit im amerikanischen Kongress debattiert wird. Das Gesetz hat gute Seiten (eine zentrale Dokumentationsstelle aller internationaler Adoptionen zum Beispiel), verfolgt letztlich aber das Ziel die Zahlen Internationaler Adoptionen kräftig zu steigern. Statt die vielen Fehlentwicklungen im amerikanischen Adoptionssystem zu korrigieren, möchten die beteiligten Akteure der Adoptionsindustrie den Markt wieder vergrößern. Die amerikanische Außen- und Entwicklungspolitik soll ihren Einfluß geltend machen, dass die Empfängerländer sich dem 'Kinderschutz' zuwenden, bei dem Adoptionen eine große Rolle spielen. Der Entwicklungshilfeetat soll um $30 Millionen im Jahr angezapft werden, um diese Maßnahmen zu finanzieren. Man sieht die gut bezahlten Präsidenten diverser Adoptionsagenturen schon bei der Verteilung der Gelder an sich und ihre Freunde. Die Kritik an dem Vorhaben ist laut. Eine Zusammenfassung findet sich hier.
  • Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters haben den privaten Markt für 'Zweitadoptionen' aufgedeckt: Kinder, deren Adoptionen schief gehen, werden über private Internetforen an Familien vermittelt, die sich aus welchen Gründen auch immer auf die Aufnahme schwieriger Pflegekinder spezialisieren. Pädophilie ist der eine Grund; der Bezug von Sozialhilfe mag ein anderer sein. Im Anbetracht der Tatsache, dass amerikanische Adoptivfamilien zuweilen zu groß sind, ihre Kinder misshandeln und Kinder aufnehmen, die stark traumatisiert sind, ist das nicht überraschend. Gleichwohl kommen die Kinder von einem schlechten Ort in einen noch schlechteren, ohne dass das Jugendamt überhaupt davon erfährt. Viele von ihnen landen irgendwann auch in der staatlichen Fürsorge, oftmals ohne amerikanische Staatsangehörigkeit.

Es reicht nicht, sich angewidert davon abzuwenden und froh zu sein, dass in Europa der Diskurs ein anderer ist. Die Haltung der USA als größtes Empfängerland International Adoptierter überschattet alle anderen. Im Windschatten eines schlechten Systems zu segeln und selbst die bessere Alternative anzubieten, kann nicht funktionieren. Man wird den Menschen in Äthiopien nicht den Unterschied zwischen den 'bösen' Amerikanern und den 'guten' Europäern erklären können. Das Instrument der Internationalen Adoption an sich hat Schaden genommen. Spürbar ist das auch in Deutschland, wo die Adoptionen aus Äthiopien so stark zurückgegangen ist, dass zumindest eine der beiden Vermittlungsstellen vor existentiellen Problemen steht.

Den vielen Kindern und Familien, die dadurch aus hoffnungslosen Lagen befreit wurden, würde das zumindest nicht gerecht. (Auch nicht den Tausenden Heimkindern aus Rumänien, mit denen Anfang der neunziger Jahren ein neuer Adoptionsboom begann.) Tatsache bleibt jedoch, dass es nur zwei Wege gibt: entweder raffen sich die Adoptionsexperten in Europa auf, ihre Profession zu reformieren und eine Haltung zu den Entwicklungen in den USA einzunehmen. Oder sie geraten in den Sog des Abwärtsstrudels, der die Adoptionsbewegung erfasst hat. Dann wird irgendwann jedoch der Tag kommen, an dem Internationalen Adoptionen einfach keine inviduelle Lösung für ein familienloses Kind mehr sind.

Dienstag, 10. September 2013

Adoptiveltern von Hana Williams schuldig gesprochen

Nach mehreren Wochen Beweisaufnahme wurden die Adoptiveltern von Hana Williams der Kindesmisshandlung und des Totschlags schuldig gesprochen. Beide hatten auf Freispruch plädiert  Während des Gerichtsverfahrens hatten die Eltern sich nicht nur gegenseitig beschuldigt sondern insbesondere die Mutter hat Hana selbst verantwortlich für ihren Tod gemacht. Hana habe sich unbeabsichtigt selbst getötet, da sie in der kalten und nassen Nacht sich geweigert habe ins Haus zu kommen.

Vor Gericht wurde dokumentiert, dass Hana Essen vorenthalten wurde, dass sie und ihr Bruder gefrorenes ungekochtes Essen essen mussten, dass sie in der Scheune und in einem Schrank schlafen mussten, dass die Kinder auf dem Hof zur Strafe mit einem Schlauch abgespritzt wurden und dass die Eltern ihr den Kopf schoren. Hana und ihr tauber Adoptivbruder Immanuel wurden sadistisch gequält.  Die Familie lebte isoliert nach streng religiösen Prinzipien. Die Kinder besuchten keine Schule.

Die Verantwortung der Vermittlungsstelle war nicht Gegenstand des Verfahrens und ist umstritten. Klar ist, dass die Familie aufgrund ihrer Erziehungspraktiken nicht geeignet war, Kinder zu adoptieren. Die Vermittlungsstelle behauptet, sie sei betrogen worden. Die Eltern haben nach der Adoption keine Entwicklungsberichte geschrieben, was von der Vermittlungsstelle nicht weiter verfolgt wurde. Klar ist auch, dass sie zusätzlich zu ihren sieben leiblichen Kindern gleichzeitig zwei nicht verwandte ältere Kinder adoptieren konnten, von denen eines behindert war und die beide nicht die jüngsten Kinder in der Familie waren. An dieser Stelle hätten gleich mehrere Warnlampen aufleuchten müssen. Tatsache ist auch, dass Vermittlungsstellen in den USA so ziemlich alles selbst regeln können und es keine festen Kriterien für die Eignung als Adoptiveltern gibt.

In letzter Zeit gab es mehrere Berichte sowohl über Adoptionen von Kindern an pädophile alleinstehende Männer als auch über eine zunehmende Entwicklung komplett unregulierter Adoptionen von Kindern, die von ihrer ersten Adoptivfamilie aufgegeben werden. Eine Recherche von Reuters hat ein Yahoo Forum entdeckt, in dem diese Kinder zur Weiteradoption (re-home) im Internet angeboten werden. Kindersammler und Pädophile haben ungehinderten Zugriff auf diese Kinder. Manche Kinder wurden innerhalb von kurzer Zeit mehrfach im Internet angeboten. Yahoo hat das Forum nun gelöscht. Man kann davon ausgehen, dass es unter neuem Namen in Kürze wieder in Aktion treten wird.

Wie schon mehrfach in diesem blog geschrieben wurde: die Vermittlungsstellen graben sich durch die Tolerierung dieser Praktiken, die zu Missbrauch und auch dem Tod von Kindern führen, selbst das Wasser ab und verspielen die Legitimation im Interesse der Kinder zu sprechen und zu handeln. Der Hinweis auf vereinzelte schwarze Schafe reicht nicht, wenn nicht gleichzeitig auch das System reformiert wird.

Der Tod von Hana schockiert und betrifft nicht nur Adoptivfamilien in den USA. Er wirft einen Schatten auf alle, die mit Adoptionen zu tun haben und nicht laut über Missstände sprechen.


Montag, 2. September 2013

Americanah - Ein Buchtipp

Americanah - das neue Buch von Chimanda Ngozi Adichie (der Autorin von Half of a Yellow Sun) hat nichts mit Adoptionen zu tun. Dafür aber viel mit Rassismus. Eine junge Frau aus Nigeria flieht vor dem Stillstand in ihrem Land in die USA. Sie kämpft mit Schwierigkeiten verschiedenster Art und sieht sich immer wieder mit der übermächtigen Rolle von Rassendiskriminierung in Amerika konfrontiert. Sie schreibt einen erfolgreichen Blog über Rassismus aus der Sicht einer Nicht-Amerikanischen Schwarzen, für die Diskriminierung erst dann zum Problem wird, als sie ihr Land verlässt. Parallel dazu wird die Geschichte ihres Jugendfreunds erzählt, der in England Schiffbruch erleidet und dort die Situation afrikanischer Einwanderer hautnah erlebt.

Der Roman spielt mit dem Thema Rassendiskriminierung in der westlichen Welt. Die Heldin Ifemelu erfährt erstmals in den USA, dass Hautfarbe wichtig sein kann. Und sie empfindet die damit verbundene Diskriminierung als absolut. Sie ist nicht vergleichbar mit der Diskriminierung von Juden, Frauen oder Hispanics; denn Schwarze in den USA sind die unterste sozio-ökonomische Schicht. Sie können auf niemanden herabschauen oder ihre finanzielle Stärke nutzen, um Diskriminierungen auszugleichen. Sie haben keine ökonomische Macht. Parallelen passen nicht; die Schubladen sind genau definiert. "Versuch es erst gar nicht die Diskriminierung der Schwarzen nachzuempfinden; du kannst es nicht" empfiehlt sie in ihrem Blog. "Und glaube nicht, der Rassismus in den USA sei überwunden." Vielmehr sei es erst zwei Generation her, dass Schwarze nicht im gleichen Bus fahren oder wählen konnten. Im Kontrast dazu wird die Erfahrung in Großbritannien geschildert und auf den Punkt gebracht: in den USA können Schwarze ökonomisch aufsteigen, gehören aber sozial nie dazu; in Großbritannien ist es umgekehrt. Die Klassengesellschaft hält Schwarze aus der Oberschicht, aber man durchaus miteinander befreundet sein.

Und in Deutschland? Der Rassismus in Deutschland ist wie seine Brüder in den USA und Großbritannien tief verwurzelt in der deutschen Geschichte. Der offiziellen liberalen Rechtsstaatlichkeit im Nachkriegsdeutschland steht eine institutionalisierte Fremden(!)feindlichkeit gegenüber, die nicht nur im NSU Skandal die Behörden dazu einlud, die Täter in den Opferfamilien zu suchen, sondern auch offene Feindseligkeiten gegenüber Asylsuchenden in Berlin toleriert. Wirtschaftsminister Rösler wird täglich mit rassistischer Post konfrontiert. Schwarze Deutsche sind dabei anders als in den USA keine sozio-ökonomische Gruppe, da sie zu heterogen und zu wenige sind. Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft wird ihnen in erster Linie ein Status als Exoten zugeschrieben. Aber auch Exoten gehören nicht zur Mehrheitsgesellschaft. Adoptivkinder erleben das auch schon mal in gut gemeinter Form, wenn sie mit offenem und zugleich überheblichen Mitleid bedacht werden.

Die nicht-offizielle aber unter der Hand florierende Diskriminierung in Deutschland erschwert aber auch eine Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Deutschen. Sie hat kein Gegenüber sondern der Stammtisch hüllt sich sofort in Schweigen, wenn das Thema öffentlich wird. In bizarrer Form - wie beim Streit um das N-Wort in deutschen Kinderbüchern - zeigt sich der unreflektierte Umgang mit Rassismus. Heute können Anwohner in Hellersdorf unwidersprochen den Fernsehkameras mitteilen, dass man ja wisse, dass Asylbewerber gefährlich seien. Viel mehr Mut brauchen Journalisten, Mitbewohner und Politiker, um Diskriminierung aufzuzeigen, kenntlich zu machen und unausgesprochene Ressentiments zu bekämpfen.

Americanah ist ein grossartiger Roman, der viele Denkanstöße gibt; zum Thema Rassismus in Afrika, USA und Grossbritannien - und bei uns.