Dienstag, 8. Oktober 2013

Ethische Risiken einer Adoption aus Äthiopien


Wir werden oft nach Vermittlungsstellen gefragt. Viele Leserinnen und Leser landen auf unserer Seite, weil sie "Eltern für Afrika" oder "evap" googlen. 

Wir wissen daher, dass viele Leser dieses Blogs Adoptionsbewerber sind. Wenn sie auf unsere Seite kommen, sollte sie eines interessieren: Was sind die ethischen Risiken einer Adoption aus Äthiopien? Darauf gibt es im Jahr 2013 nach besten Wissen die folgende Antwort:
  • Das größte Risiko ist eine falsche Angabe im Sozialbericht über die Familie des Kindes. Kinder mit zwei lebenden Eltern können in Äthiopien nicht ins Heim gegeben werden. Wenn Mütter oder Familien sich dennoch dazu entscheiden, erklären sie sich zur Tante oder Nachbarin und behaupten die Eltern seien tot. Oder Grosseltern bringen Enkel ins Heim. Manchmal ohne das Wissen der Eltern. Oder Mütter von Säuglingen behaupten, sie hätten das Kind gerade an einer Kreuzung gefunden. Oder Kinder werden im Merkato aufgegriffen und die Polizei behauptet, die Eltern hätten nicht gefunden werden können. Auch das ist oftmals nicht wahr.   
  • Eltern werden/wurden zuweilen dazu überredet, ihre Kinder aufzugeben. Auch durch Vermittler, die von Heimen und Vermittlungsstellen dafür bezahlt werden. 
  • Heime bezahlen Vermittler für Kinder und verlangen hohe Gebühren von Vermittlungsstellen. Sie haben kein Interesse an der wahren Herkunft des Kindes. 
  • Uns ist kein Fall von Kindesentführung bekannt. Das bedeutet nicht, dass Mütter nicht unter Druck gesetzt wurden oder ihnen die Kinder ohne ihr Wissen oder Einverständnis abgegeben wurden. 
  • Uns sind mehrere Adoptionen bekannt, deren Hintergrund fragwürdig ist. 

Was kann man tun? Nach unserer Erfahrung und Einschätzung prüfen die deutschen Vermittlungsstellen nicht den Wahrheitsgehalt der Angaben durch das Heim. 'This is Africa' ist eine Haltung zum Problem. Und: 'Hauptsache die Kinder bekommen eine neue Familie'.  Im Fall Gelgela, einem Heim, das unter heftiger Kritik stand, hat evap seine Kooperation nach einer langen Übergangszeit eingestellt. 

Die Vermittlungsstellen sind auch keine aktiven Kritiker der gegenwärtigen Lage. Sie können nicht offen kritisch sein, ohne ihren Status zu gefährden. Vermittlungsstellen brauchen eine Lizenz der äthiopischen Regierung. Wenn sie zu kritisch auftreten, wird ihnen die Lizenz entzogen. Ihre Lage im Land ist prekär. Was Vermittlungsstellen hinter den Kulissen machen, wissen wir nicht. 

Niemand kann ein Kind adoptieren wollen, dessen Papiere es als Waise ausweisen und dessen Eltern in Wahrheit noch leben. Die Lüge im Leben des Kindes wird man nie wieder los. Sie wird auch nicht dadurch besser, das sie vielleicht nie bekannt wird. Oder dass trotz alledem die Adoption die beste Lösung für das Kind ist. Man möchte auch nicht mit der Unsicherheit leben, dass es Eltern gibt, die getäuscht und betrogen wurden.   

Vermittlungsstellen sind nach unserer Erfahrung nicht proaktiv, wenn es zur nachträglichen Aufklärung von Familienverhältnissen kommt. Sie selbst werden nie aktiv, auch wenn sie als professionelle Beteiligte von Beginn an ihre Zweifel hätten anmelden müssen. Sie beteiligen sich daran, wenn die Eltern darauf drängen. Auch weil sie Herr der Lage sein wollen und in Äthiopien keine unbeaufsichtigten Eltern haben wollen, die Detektiv spielen. Sie stellen zugleich den Eltern die Kosten in Rechnung. Das alleine kann Adoptiveltern von der Wahrheitssuche abhalten.

Unsere Arbeit wird von Vermittlungsstellen nicht gerne gesehen. Kein Adoptionsprofi hat uns bislang auf die Schulter geklopft und eine Diskussion zum Thema begruesst. Man habe den Eindruck, wir seien gegen Adoptionen. Wir ermutigen Adoptionsbewerber unangenehme Fragen zu stellen. Ja, das stimmt.  Wir ermutigen auch andere Adoptivfamilien, das Bundesamt für Justiz und die Vermittlungsstellen selbst kritische Fragen zu stellen. Wir glauben, dass es keine ethischen Adoptionen ohne eine vollständige Offenlegung der Fakten geben kann.

Freitag, 4. Oktober 2013

Sie werden nie eine normale Familie sein

Ein Nachtrag zur Diskussion, ob Adoptivfamilien 'normal' sind: Irmela Wiemann hat das Interview in Nido auf ihre Webseite gestellt und einen lesenswerten Kommentar verfasst. Wir hatten darüber bereits früher berichtet.

Frau Wiemann kritisiert in ihrer Stellungnahme den Titel, der nicht von ihr gewählt wurde. In der Tat gibt es eine Neigung zur Dramatisierung: entweder sind Adoptivkinder und ihre Familien besonders schwierig (oft in den Medien) oder komplett wie alle anderen (oft bei den Familien selbst und bei ihrer Umwelt).

Letzteres fällt besonders im Schulalltag immer wieder auf. Ob ein bestimmtes Verhalten oder eine Schulschwäche mit der Adoption zusammenhängen könnte, ist ein ganz empfindliches Thema. Besonders gut meinende Eltern oder Lehrer ersticken oft jede Diskussion darüber in dem sie darauf hinweisen, dass andere Kinder dieses Problem/Verhalten auch haben. Das ist ebensowenig hilfreich wie diejenigen Lehrer, die Adoptivkinder gleich in die Schublade der verhaltensauffälligen Kinder stecken.

http://www.irmelawiemann.de/dl/dl.pdfa?download=Nido-normale-Familie-Wiemann-Satz.pdf